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Second Life Introbild

Zufällig stolpere ich über eine schon etwas angestaubte Pressemeldung des Goethe Instituts:

München (dpa) - Das Goethe-Institut wagt den Schritt ins «Second Life»: Vom 28. Juli an wird das Institut seine eigene Präsenz in der dreidimensionalen Parallelwelt im Internet haben. Das teilte die Organisation zur weltweiten Förderung der deutschen Sprache und Kultur an ihrem Hauptsitz München mit. Internetnutzer können dort mit ihren virtuellen Charakteren - den sogenannten Avataren - in einem virtuellen Klassenzimmer an einem kostenlosen Schnupper-Deutschkurs oder einem täglichen moderierten Deutsch-Treff im Café teilnehmen, Videos anschauen oder verschiedene Kulturprogramme besuchen.

n24 Meldung: Goethe-Institut künftig auch in «Second Life»

Damit gehört das "weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland" wahrscheinlich zu den letzten deutschen Organisationen, die in Second Life aktiv wurden. Ich benutze das zum Anlass mal wieder in Second Life zu schauen.

Als erstes wird ein Update fällig. Die in Second Life integrierte Suchfunktion spuckt auch gleich den Ort des Goetheinstituts aus. Ein Wald von Plakaten, ein Auditorium - das ja in keinem anspruchsvollen Auftritt fehlen darf und eine Konstruktion auf mehreren Ebenen erwarten mich.

GoetheinstitutinSL

Second Life ist ja eine riesige Insellandschaft, eine Server, eine Insel und so wird auch das Goethe-Institut von südländischem Meer umrahmt. Ein Gastgeber-Avatar ist auch da. Das Ankündigungsplakat kann ich nicht lesen - auch nicht nachdem ich erstmal alle Grafikeinstellungen auf Höchstmaß gesetzt habe. Mein Problem oder das von SL - wer weiß.

Typisch jedoch: riesige Räume, Schilderwände, Meer und fast niemand zu sehen. Auch das ständige Nachladen von Objekten und Texturen und die damit verbundenen ruckeligen Bewegungen. Irgendwie erinnert die ganze Welt an eine Technologie-Demo, die ein wenig überfrachtet und holprig ist.

Doch Second Life bietet eine ganze Reihe von Neuerungen im Vergleich zu älteren Lösungen. Allen voran die Möglichkeit für die Nutzer die Welt selbst mit zu gestalten. Die bereitgestellten Modellierungs-Werkzeuge sind sehr mächtig. Ein imposanten Beispiel findet sich auf Youtube - Die Erstellung von Susanne Vegas Gitarre von infinitemind.

Wer sofort im Stile dieser Demonstration loslegen will, wird schnell enttäuscht. Die Leichtigkeit der Erstellung im Video entspricht dem hohen Können des Erstellers, nicht aber der besonderen Einfachheit der Tools.

Ein implementiertes Wirtschaftssystem, das im Austausch mit der realen Welt der Dollars steht, reicht dabei noch nicht aus. Es können durchaus künstliche Ziele sein, wie Monster umbringen, dabei Dinge aufsammeln und den virtuellen Charakter, den Avatar – fast schon ein verpöntes Wort in der Gaming-Welt – so ausstatten, dass er noch mehr Monster killen kann und noch mehr Dinge einsammeln kann. Doch Second Life gibt keine Ziele vor, auch keine virtuellen, ist also kein Spiel. Second Life will vielmehr Kommunikationsplattform sein, das funktioniert auch – leider nur für wenige Poweruser.

Woher kommt Second Life, Wikipedia gibt Antwort, ich verkürze sie mal: Linden Labs wurde 1999 von Philip Rosedale – auch als Philip Linden bekannt – gegründet. Das ursprüngliche Firmenziel bestand laut Wikipedia.com in der Fertigung von immersiver Computerhardware – „The Rig“ – einer Anzahl von Monitoren, die auf der Schulter getragen wurden, einem System also, das Computernutzer komplett in virtuelle Welten eintauchen lassen sollte. Bald jedoch konzentrierten sich die Anstrengungen auf die Softwareentwicklung, „Linden World“ entstand, aus dem später das bekannte „Second Life“ hervorging.

Second Life erlebte 2006 / 2007 einen Boom in Deutschland mit zahlreichen Artikeln in der Presse. Von BMW bis Deutscher Post hatte bald jedes große deutsche Unternehmen eine „Dependance“ in Second Life. I-D Media brachte den Discounter Plus 2007 nach Second Life und errichtete das „Kleine Preise Land“, an dessen Entwicklung ich beteiligt war.

Kleine Preise Land Party in SL

Sogar eine Marke für virtuelle PLUS Eigenprodukte unter dem Namen "Life2" wurde entwickelt.

Zu den ersten Produkten, die angeboten werden gehören unter anderem ein virtuelles Surfboard und so genannte "Dance-Trousers". Glander: "Neben der virtuellen Eigenmarke werden wir außerdem ausgewählte Produkte aus dem Plus- Webshop präsentieren. Interessenten können dann aus der Second Life-Filiale direkt in den Plus-Webshop gelangen." PLUS Presseerklärung vom 27.September 2007

Wie so viele Second Life Projekte war auch der PLUS Insel ein schleichender Tod beschieden. Nach gelungenem Start mit ausgiebiger, breiter und lobender Berichterstattung in der Online-Presse und hohem Traffic auf der Microsite lies das Interesse beim Veranstalter PLUS langsam nach. Denn Second Life brachte für das Real Life des Online-Discounts keine messbare Erhöhung des Abverkaufs. Die Anzahl der aktiven Nutzer ist einfach zu klein:

Somit ist der Kreis der tatsächlichen, aktiven Second Life-Nutzer überschaubar. Er beträgt heute mit 0,6% weniger als ein Hundertstel der Internet-Gesamtnutzerschaft. Die übrigen 5,5% gelegentlichen Nutzer setzen sich zu je 1,7% aus Personen zusammen, die Second Life ca. einmal pro Monat bzw. pro Quartal nutzen. Der Großteil (3,8%) sucht die virtuelle Welt noch seltener auf oder hat die Nutzung inzwischen wieder eingestellt.

Benutzer Analyse W3B 2008

„Second Life“ war dabei bei weitem nicht die erste 3D-Community im Internet. Auf Basis von VRML (Virtual Reality Modeling Language) einer Beschreibungssprache für 3d Szenen, Animationen, Beleuchtung und Interaktion, die 1995 von Silicon Graphics entwickelt wurde entstanden bereits Ende der Neunziger Jahre etliche 3D-Online-Welten.

SL, VRML, Blaxxun, X3D Bild

So machte sich Blaxxun – anfänglich Black Sun – einen Namen mit 3D-Communities auf VRML Basis. Blaxxun offerierte ein kostenloses Browser-Plugin und eine Plattform, die alle wesentlichen Community-Funktionen enthielt. Später kam ein Avatarbaukasten, mit dem man sich eigene Avatare gestalten konnte hinzu. Chat war Standard, Bewegtbild mittels Streaming funktionierte auch. Anfang 2000 entwickelte die Terratools GmbH für die Deutsche Welle auf Blaxxuns Client/Server Basis eine 3D-Community: Das Lapidarium.

Lapidarium in DW Online 3D Community

Das Berliner Lapidarium am Halleschen Ufer diente von 1978 bis 2009 als Einrichtung des Senats der Verwahrung und Ausstellung alter steinerner Denk- und Standmale, die so im geschlossenen Raum für die Zukunft bewahrt wurden. Sie stammten hauptsächlich von der Siegesallee und aus dem Tiergarten. Vielfach stehen an den originären Standorten in der Natur nur noch Repliken der Originale.

Wikipedia.de – Lapidarium Berlin

Das Lapidarium in Berlin ist ein ehemaliges Pumpwerk, ein technisches Baudenkmal und wurde damals von der Deutschen Welle als Studio für eine Kultursendung genutzt. Bei Terratools bauten wir es orginalgetreu nach. Neben dem Hauptraum, enthielt die Analge eine Bühne, einen Games- und einen Ausstellungsraum, der mit Bildern einer japanischen electronic art Ausstellung "Fushigi Jungle" bespielt wurde, einem Kooperationsprojekt mit Netzspannung.org

Fushigi Jungle in der 3D Online COI der Deutschen Welle

Die Client/Server Technologie von Blaxxun lief stabil, die Preise bewegten sich aber im fünfstelligen Bereich. Die Nutzer mussten ein Plugin installieren und sich registrieren. Die maximale Anzahl gleichzeitiger Nutzer lag zwischen 50 und 100. Blaxxun meldete 2002 Konkurs an. Einer der zwei Chefentwickler von Blaxxun Holger Grahn gründete 2002 mehr dazu Bitmanagement Software, die nach eigenen Aussagen:

Die Bitmanagement Software GmbH mit Sitz am Starnberger See bei München ist der führende Anbieter von interaktiver 3D Technologie auf 3D-ISO-Standards (VRML, X3D, MPEG-4) im Internet. Kunden integrieren die 3D Basistechnologie in ihre Produkt und Dienstleistungskonzepte.

Infoflyer Bitmanagement Software

Da SGI als maßgebliche Firma sich aus der Entwicklung von VRML aufgrund eigener Schwierigkeiten zurückzog, wurde die Entwicklung von VRML nach der Version 2.0 nicht konsequent weiter getrieben.

Einen kurzen Werbehype erlebte VRML 1997 mit einer Bannerwerbung von Pepsi, einer VRML Animationsequenz, die weniger als 10 kBytes klein war und damals Shockwave in den Schatten stellte. "Flash" befand sich damals noch im Anfangsstadium mit Version 2 und wurde erst viel später zum Quasi-Standard für Animation im Internet.

Für den nachfolgenen Standard "X3D" (Extensible 3D) schien das allgemeine Interesse nie so groß wie für VRML, das eine ganze Reihe von On- und Offline Anwendungen nach sich zog.

Und was ist Web 3D heute? Seit einem Jahr angesagt: Papervision 3D, das auf Flash basiert. Dazu gibt´s gerade einen Artikel im Smashing Magazine.